Dienstag, September 06, 2005

Vom SSler zum Direktor

Die Rolle des intriganten SSlers Gstettner (man mag meine Schreibweise korrigieren) war ihm in "Bockerer" I und II, dem österreichischen Film-Nationalepos, auf den Leib geschneidert - Michael Schottenberg, dem seit Sonntag die Leitung des Wiener Volkstheaters obliegt. Die Person Schottenbergs ist ein erstklassiges, wenn auch nicht allzu gut erhaltenes, Exemplar des gereiften österreichischen Linksintellektuellen, gestikuliert eindrucksvoll und lanciert aus seinem dreitagebartumkränzten Mund gern markante Sprüche, was für mich Grund genug ist, ihn in den Reigen derer, die mich in Weißglut versetzen können, aufzunehmen.
"Wir leben in einer desillusionierten, enttäuschten und von der Wirtschaft dominierten Welt. Die Politiker haben keine Visionen mehr und kurbeln nur mehr die Wirtschaft an. Wer denkt da noch an die Menschen? Kein Mensch." meint der 51jährige in der Wiener Zeitung des vergangenen Wochenendes auf die Frage, ob politisches Theater wieder in Mode gekommen sei, hin und unterstreicht dies eindrucksvoll durch die Schmückung der Fassade des Volkstheaters mit einem roten Stern, den er als lediglich aus fünf Vs bestehend bezeichnet. Weiters: "Aber ich halte sehr viel von linkem und engagiertem Theater, das sich für Menschen einsetzt, die sich nicht wehren können", womit Schottenberg sich nahtlos in die Reihe der Kaffeesudweisheiten versprühenden Brecht-Plagiate einreiht (was er wohl als Kompliment werten würde).
Möglich auch, daß der Neo-Direktor des Wiener Volkstheater seine Stammtischweisheiten aus kluger Berechnung von sich gibt, läuft er doch im Roten Wien damit offene Türen ein und könnte sich damit ein passabel frequentiertes Haus sichern.
Kurz sei auf eine der größten Absurditäten des 20. Jahrhunderts eingegangen: "Engagiertes" Theater? Peter Handke subsumiert in seinem lesenswerten, 1966 entstandenen Aufsatz "Die Literatur ist romantisch" (aus: Handke, Peter: Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms. Suhrkamp, F./M., 1972) den Sachverhalt treffend, indem er schreibt: "Denn engagieren kann man sich nur mit Handlungen und mit als Handlungen gemeinten Wörtern, aber nicht mit den Wörtern der Literatur." Insofern mag der SSler Schottenberg mit der rotsternigen Ausstaffierung der Volkstheater-Fassade sich eindrucksvoll engagiert haben.
PS: Was ihn der Wiener Intellektuellenelite noch sympathischer machen sollte: Schottenberg ist, wie aus einem Interview hervorgeht, bekennender Vegetarier, seine Leibspeise ist Sushi und er verzehrt ausschließlich Produkte aus biologischem Anbau (selbstverständlich hält er gentechnisch Verändertes für "scheußlich" und "schrecklich").