Donnerstag, September 29, 2005

Das Kindchenschema - einmal anders


Gerade sah ich im Fernsehen die Wiederholung einer Folge der Serie "Der Bulle von Tölz". Da tat sich mir die Erkenntnis auf, warum der schwer fettleibige Bayerncolumbo sich nach wie vor so großer (meines Erachtens zu großer) Beliebtheit erfreue: Seine rund 150kg, sein etwas watschelnder Gang, seine verschwommenen Gesichtszüge, sein zuweilen etwas dümmlicher Blick - all das sei nichts anderes als eine Analogie zum Kindchenschema, das beim Zuseher Mitleid erwecke.

Montag, September 26, 2005

Zwangsdienst

Soeben habe ich meinen Einberufungsbefehl erhalten: Leviathans Höllenteufel haben beschlossen, mich die Grundausbildung in Graz-Wetzelsdorf auskosten zu lassen. In dem Graz, das ich für eine der unangenehmsten Städte Österreichs halte. Nach Ableistung der Grundausbildung versetzt man mich nach Götzendorf/Leitha in das ZEV. Der Reigen wird am 9. Januar seinen Beginn nehmen. Widerlich.

Sonntag, September 25, 2005

"Schwein"

Das Fahren in Straßen-, oder U-Bahnen, oder Omnibussen, oder Zügen; das flackernde Aufeinandertreffen und sofortige Ausweichen einander fremder Augen; das Eingesperrtsein von Station zu Station und ein Ich inmitten, das, wie auch heute, zunehmend vom Fahren in öffentlichen Verkehrsmitteln sich fasziniert erweist: In einer Straßenbahn also saß ein offensichtlich betrunkener Mann, von fettigem, grauem Haar, gekleidet in eine graue Kunstlederjacke, worunter ein blaues Unterhemd schelmisch hervorblinzelte, ein Wiener Schnitzel, welches er wohl in einem der wie Pilze aus dem Boden schießenden Schnitzelbuden erstanden haben mochte, unter hämischen Zurufen an den Straßenbahnfahrer verspeisend, während die Schatten der die Straße säumenden Häuser still vorbeizogen. "Warum foast net in d' Alsastroßn, do wohn i eh scho seit 14 Joa und dea foat net hi!" Da, unerwartet, wirft er den Styroporbehälter, in dem sein Wiener Schnitzel verpackt wurde, zu Boden. Da erhebt ein schmächtiger Mann sich, dessen Haupt eine "Ojusko"-Kappe ziert, woraus unschwer sich schließen läßt, daß er, was seine Gesichtszüge bestätigen, kroatischer Herkunkt sei (
"Ojusko" ist ein widerliches kroatisches Bier), und beginnt, ihm anhand eindeutiger Gesten mit körperlicher Gewalt drohend, ihn lautstark als "Schwein" zu bezeichnen und besagten Behälter auf des Betrunkenen Schoß zu legen. Verdattert warf der Betrunkene den Behälter wieder zu Boden, woraufhin der Kappenträger wiederum selbigen auf dessen Schoß legte, was anschließend sich ein weiteres Mal wiederholte.
Ich nehme diese Vorgänge interessiert wahr. Ich wäge ab, ob ich mich nicht vielleicht auch in Szene setzen sollte, indem ich dem Betrunkenen ein paar deftige Schläge verpasse oder die Streitenden voneinander trenne. Ich entscheide, weiterhin zu betrachten und komme zum Schluß, daß es mich das Werfen des Styroporbehälters kaltgelassen hätte, es sei denn, ich wäre auf ihn getreten und daraufhin ausgeglitten. Ich schmunzle leise und betrachte weiter.
Indessen war es daran, daß der Kappenträger vermutlich kroatischer Herkunft dem Betrunkenen den Styroporbehälter auf dessen Stirn geschlagen hatte und eine veritable Schlägerei sich entsponnen hätte, wäre nicht ein stämmiger Mann, der beide nun auseinanderhielt, dazwischengetreten. Das Publikum hatte alles aufmerksam, eindeutig zu Gunsten des Kroaten murmelnd, verfolgt. "Wie tätat's n' do ausschaun, won des olle mochatn?" Aus seiner Kabine war der Fahrer hinzugetreten und verwies nun den Betrunkenen des Wagens; dies erfüllte den Kappenträger mit Stolz, und unverständliche Brocken deutscher Sprache warf er einem Paar zu, das am lautstärksten sich ob des ungebührlichen, alkoholisierten Verhaltens moquierte, scheinbar in der Absicht, sich zu rechtfertigen. Aufmunternd nickte das Paar ihm zu, ehe er sich mit einem saloppen "Gute Nacht" (ich verstand es als solches) verabschiedete und sein Ruhm zu verblassen begann.
Auf meinem weiteren Heimweg fasse ich den Entschluß, mich bei ähnlicher Gelegenheit in Szene zu setzen, auf daß auch ich Ruhm, wenn auch kurzlebigen, genießen dürfe.

Sonntag, September 18, 2005

Die Gassen

Die Gassen, die wir gingen:
Unbeschritten, verlassen.
Einherschreitend, kindbegleitet,
Blind und verkrüppelt.
Und Nebelgrau, sich lichtend.
Schau: Ein Wir, rückwärts gewandt.
Hand in Hand laß' uns ihm folgen.

Ein "Fels in der Brandung"

Allzu gern verwendet man das Bild eines Felsen in der Brandung, um damit auszudrücken, daß es sich beim Angesprochenen um eine verläßliche Person, gleich wie sehr die Brandung sich rege, handle. Dieses Bild muß zertrümmert werden: Statisch ragt dieser Fels aus dem wogenden Meer des ewigen Hin- und Her des Lebens, das an ihm vorbeizieht. Dieses Bild mag - von einem gewissen Standpunkt aus betrachtet - verständlich scheinen. "Ich brauche eine Anlaufstelle, eine starke Schulter, einen Bezugspunkt, jemanden, mit dem ich durch dick und dick gehen kann." Das Problem und die Unmöglichkeit, die sich meinem Standpunkt auftun - Felsen sind unbeweglich und damit genau das, was eine zwischenmenschliche Beziehung, gleich welcher Art, nicht ausmacht. Eine zwischenmenschliche Beziehung sollte sich auszeichnen durch gemeinsamen Willen zur Veränderung, zu neuer Erfahrung, zum gemeinsamen Eintauchen in den Heraklit'schen Strom des "panta rhei". Daher lautet mein Bild, das ich an die Stelle des statischen Felsen hänge: "Du bist eine Welle im Strom".

Freitag, September 16, 2005

Seltsames II

Definiere das Verbum "sein".

Donnerstag, September 15, 2005

In der U-Bahn.

In einer U-Bahn erlangt man das, was man nach der Lektüre eines Dickens-Romans (seit Monaten schon kämpfe ich mich durch "Bleak House") zu erlangen glaubt: einen Querschnitt durch die Gesellschaft. Man beobachtet, betrachtet, versucht, die Leute einzuordnen, ihre Gesichtszüge aufzunehmen, während außerhalb die Sonne sich im Untergehen befindet. Man befindet sich bis zum Moment des Aussteigens in einer Schicksalsgemeinschaft mit den Mitfahrenden, vielleicht vom Nervenkitzel, personifiziert durch den in Zivil durch U-Bahnen streifenden Kontrolleur, in Atem gehalten; vielleicht die Mitfahrenden auch gar nicht wahrnehmend, da in Gedanken versunken; und doch - bis du zum Ziel gelangst, bist du dazu gezwungen, mit diesen Fremden eine Schicksalsgemeinschaft zu bilden.
Ich fuhr gestern, wie annähernd jeden Tag, mit der U-Bahn, desinteressiert an den Mitfahrenden und ließ, momentan das Einzige, was ich an mich heranlasse, die Sonnenstrahlen der untergehenden Sonne mein Gesicht berühren. Und plötzlich fiel mir auf, daß nicht einmal jemand aus der erzwungenen Schicksalsgemeinschaft meine Nähe suche und einen Sitzplatz mir gegenüber einnehme. Ich betrachtete die Mitfahrenden nicht direkt (das wäre mir an diesem Tag zu viel Kontakt gewesen), sondern indem ich deren Spiegelbilder auf den Scheiben der U-Bahn betrachtete. Bin ich? Bin ich hier und jetzt -- da? Der Fleck auf dem Hemd, mir erst zu diesem Zeitpunkt aufgefallen, erregte keine Aufmerksamkeit; meine unreine Gesichtshaut kümmerte niemanden. Wie wäre es, wenn ich laut zu rülpsen begänne, auf den Sitz schisse, dabei Unflätigkeiten wider die Mitfahrenden von mir gebend, sodann das Fenster einschlüge und, anstatt ganz gewöhnlich durch die Tür den Zug zu verlassen, durch das Fenster auf den Bahnsteig spränge?, frug ich mich, still hineinlächelnd in mich.

Deshalb bleibt doch der beste Rat, alles hinzunehmen, als schwere Masse
sich verhalten und fühle man sich selbst fortgeblasen, keinen unnötigen Schritt
sich ablocken lassen, den anderen mit Tierblick anzuschaun, keine Reue fühlen,
kurz, das, was vom Leben übrig ist, mit eigener Hand niederdrücken, d. h., die
letzte grabmäßige Ruhe noch zu vermehren und nichts außer ihr mehr bestehen
lassen.
Eine charakteristische Bewegung eines solchen Zustandes ist das Hinfahren
des kleinen Fingers über die Augenbrauen.

Mein kleiner rechter Finger strich, probeweise, meine Augenbrauen; die Tonbandstimme hieß mich aussteigen und eintauchen in eine weitere Schicksalsgemeinschaft, und mein kleiner rechter Finger spürte nach wie vor jedes einzelne Härchen meiner linken Augenbraue, als hätte ich ihn nicht zurückgezogen.
Mit dem Akt des Aussteigens darf man die Schicksalsgemeinschaft als beendet betrachten. Unwahrscheinlich, daß dir noch bewußte Blicke nachstreifen. Du hast dich befreit und bist vielleicht wieder dein eigener Herr. Sinnbild.

Dienstag, September 13, 2005

Wien.

Es fasziniert mich immer wieder auf's neue, durch belebte Wiener Straßen zu gehen und dabei die Gesichter der an mir Vorbeihuschenden, -torkelnden, -schleichenden, -eilenden zu betrachten, die ich, nachdem ich dies für längere Zeit getan habe, zunehmend als Typen wahrzunehmen beginne: der seriöse Geschäftsmann, der arbeitslose Alkoholiker, der pensionierte Oberstudienrat, die alte Frau, der Strizzi, der Gammler. Ich versuche, ihnen in die Augen zu blicken, ihre Gesichtszüge zu studieren, ihren Gang zu analysieren, und sie weichen mir aus. Und in meine Nase strömt Kebapduft, längst nicht mehr an exotische Gefilde gemahnend, und in meine Nase strömt Schweißduft (mein Schweißduft?, frage ich mich mißtrauisch und unauffällig versuche ich, dies zu überprüfen).
Plötzlich, in einem Hauseingang, ein "Gammler", der meinen Blick entgegnet. Er ist besoffen.

Dienstag, September 06, 2005

Vom SSler zum Direktor

Die Rolle des intriganten SSlers Gstettner (man mag meine Schreibweise korrigieren) war ihm in "Bockerer" I und II, dem österreichischen Film-Nationalepos, auf den Leib geschneidert - Michael Schottenberg, dem seit Sonntag die Leitung des Wiener Volkstheaters obliegt. Die Person Schottenbergs ist ein erstklassiges, wenn auch nicht allzu gut erhaltenes, Exemplar des gereiften österreichischen Linksintellektuellen, gestikuliert eindrucksvoll und lanciert aus seinem dreitagebartumkränzten Mund gern markante Sprüche, was für mich Grund genug ist, ihn in den Reigen derer, die mich in Weißglut versetzen können, aufzunehmen.
"Wir leben in einer desillusionierten, enttäuschten und von der Wirtschaft dominierten Welt. Die Politiker haben keine Visionen mehr und kurbeln nur mehr die Wirtschaft an. Wer denkt da noch an die Menschen? Kein Mensch." meint der 51jährige in der Wiener Zeitung des vergangenen Wochenendes auf die Frage, ob politisches Theater wieder in Mode gekommen sei, hin und unterstreicht dies eindrucksvoll durch die Schmückung der Fassade des Volkstheaters mit einem roten Stern, den er als lediglich aus fünf Vs bestehend bezeichnet. Weiters: "Aber ich halte sehr viel von linkem und engagiertem Theater, das sich für Menschen einsetzt, die sich nicht wehren können", womit Schottenberg sich nahtlos in die Reihe der Kaffeesudweisheiten versprühenden Brecht-Plagiate einreiht (was er wohl als Kompliment werten würde).
Möglich auch, daß der Neo-Direktor des Wiener Volkstheater seine Stammtischweisheiten aus kluger Berechnung von sich gibt, läuft er doch im Roten Wien damit offene Türen ein und könnte sich damit ein passabel frequentiertes Haus sichern.
Kurz sei auf eine der größten Absurditäten des 20. Jahrhunderts eingegangen: "Engagiertes" Theater? Peter Handke subsumiert in seinem lesenswerten, 1966 entstandenen Aufsatz "Die Literatur ist romantisch" (aus: Handke, Peter: Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms. Suhrkamp, F./M., 1972) den Sachverhalt treffend, indem er schreibt: "Denn engagieren kann man sich nur mit Handlungen und mit als Handlungen gemeinten Wörtern, aber nicht mit den Wörtern der Literatur." Insofern mag der SSler Schottenberg mit der rotsternigen Ausstaffierung der Volkstheater-Fassade sich eindrucksvoll engagiert haben.
PS: Was ihn der Wiener Intellektuellenelite noch sympathischer machen sollte: Schottenberg ist, wie aus einem Interview hervorgeht, bekennender Vegetarier, seine Leibspeise ist Sushi und er verzehrt ausschließlich Produkte aus biologischem Anbau (selbstverständlich hält er gentechnisch Verändertes für "scheußlich" und "schrecklich").

Sonntag, September 04, 2005

Sonntag, den 4. September ...

... sollte mein auf dem Schreibtisch langsam verstaubender Kalender anzeigen - tatsächlich aber schrieben wir, ginge es nach jenem, den 18. Juli. Ich taumle aus dem Bett, feststellend, daß es gestern wohl etwas zu viel Wein und zu viel Bier war, das Taumelnde dennoch auskostend. Kalt spritzt das Wasser gegen mein Antlitz, das ich müßig mir wasche. Das Rasieren wird auf den Folgemorgen verschoben. Zur Lektüre: Dickens, Charles: Bleak House; Goethe, J. W. v.: Wahlverwandtschaften. Entschluß, heute nichts zu lesen, sondern schreibend tätig zu werden. Ich ringe mich durch Satz um Satz, ehe ich unzufrieden die Feder beiseite lege. Mittagessen. Und morgen ein Bewerbungsgespräch. Das Leben geht weiter.